Atlin - Carcross - Skagway, Yukon Territory, Kanada
Atlin - Carcross - Skagway, Yukon Territory, Kanada


Wüste, Schnee und ein Bett mit Geschichte
Tag 10 : Atlin - Carcross - Skagway


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Echt kanadisch


Am nächsten Morgen schälen wir uns aus den Quilt-Kissen, packen unsere Rucksäcke und setzen uns mit der Hauseigentümerin an den Frühstückstisch. Wir essen frisches Rhababermus, Pancakes mit Maple Sirup und trinken grünen Tee. Dabei fragen wir, wie sie ihre Quilts denn vermarktet, hier am Ende der Welt. Doch die Nachfrage sei wohl nicht das Problem. Vielmehr seien die Winter viel zu kurz, um genug zu nähen für die wenigen Gäste die kommen, Quilts sehen und immer wieder anrufen und welche bestellen. Auch uns gefallen einige der Motive, aber aufgrund der Handarbeit die drinsteckt, sind die Preise schnell im dreistelligen Bereich.
Carcross Dessert, Kanada 2000


Wir verabschieden uns herzlich und müssen Lady wieder ausreden, mit uns ins Auto zu steigen, bevor wir die Atlin Road wieder in Angriff nehmen. Diesmal erwartet uns die Sandpiste im Sonnenschein, weswegen es uns um so mehr überrascht, als die Straße immer feuchter wird. Doch das Phänomen klärt sich auf. Vor uns ist ein Tankwagen unterwegs, der die Atlin Road bewässert und eine nachfolgende Walze, die versucht den nassen Sand zu einem festen Untergrund zu pressen. Notgedrungen verfolgen wir das Spektakel einige Zeit lang. Gegenverkehr gibt es zwar keinen, aber auf der schmalen Straße ist es nicht ohne weiteres möglich, einen solchen Zug zu überholen.

Wir kehren wieder zurück zu Jakes Corner und nehmen diesmal die Tagish Road, ebenfalls eine Sandpiste, diesmal aber durch ebenes, waldiges Gelände. Mit uns genießen Tiere den sonnigen Morgen. Einen Otter und ein paar Rehe sehen wir am Straßenrand. Die vielen Seen, der dichte Wald und die dünne Besiedlung der Region scheinen den Tieren einen guten Lebensraum und keinen Grund zur Scheu zu bieten.

Tagish heißt unser erster kurzer Stop zwischen Marsh Lake und Tagish Lake. Wiederum nur ein Roadhouse verbirgt sich hinter dem Ortsnamen, doch ein Roadhouse hat im Norden Kanadas schnell eine tragende Funktion für die Region. So ist auch hier die einzige Tankstelle im Umkreis vieler Kilometer, die uns Totem Oil anbietet, ein Pub, eine Telefonzelle, die wir auch nutzen um ein Lebenszeichen nach Deutschland zu senden und die Postschließfächer. In Kanada ist es offensichtlich für die Post noch unrentabler, jeden einzelnen Brief bis zur Tür zu liefern, so daß man anstatt dessen an zentralen Orten (?) wie Tagish eine Wand voller Postfächer aufgestellt hat, an der jeder Einsiedler von Zeit zu Zeit seine Post abholen kann. Und so wird ein Roadhouse wie Tagish schnell zum Treffpunkt und zur Nachrichtenbörse der kanadischen Wildnis.

Wir versuchen die Kilometer abzuschätzen, die wir bis zur Wagenabgabe in Skagway noch vor uns haben und tanken nicht ganz voll. Schließlich wäre mit der Fuel Option, die wir gewählt haben jeder Liter zu viel im Tank verlorenes Geld.

Carcross heißt der nächste Ort am Lake Bennett. Für Amerikaner typisch ist eigentlich, damit zu werben die größten, schönsten und besten Dinge zu haben. Carcross dagegen bietet einen anderen Superlativ: die kleinste Wüste der Welt. Ein ausgetrockneter Gletschersee hat nur wenige Quadratkilometer feinsten Wüstensand zurückgelassen, was angesichts der riesigen Seenplatten rundum Carcross und der Gletscher, die auch hier die Kulisse bilden, um so eindrucksvoller ist. Der Ansicht ist leider auch ein Touristenbus, der schlagartig aus dem Nichts auftaucht, dessen Zeitplan aber wohl knapp bemessen ist. Wir laufen etwas in die Wüste hinein und lassen uns Zeit, so daß es uns schnell gelingt, die Touristen auszusitzen und den Anblick von Sand und Schnee allein zu genießen.

Nach Top of the World Highway, Atlin Road und Carcross Dessert ist die grüne Farbe unseres Autos kaum noch wiederzuerkennen. Wir müssen den Wagen zwar nicht sauber zurückbringen, aber angesichts dessen, daß die großen Mietwagengesellschaften die Nutzung gewisser Straßen (z.B. Top of the World Highway) untersagen, ist uns der Dreck ein doch zu auffälliges Indiz. Also nutzen wir am Ortseingang von Carcross eine rustikale Waschanlage bevor wir in den Ort fahren.
Autowäsche in Carcross, Kanada 2000


Carcross trug früher den Namen Caribou Crossing. Auch heute noch verbringen die Karibous, auf die wir am Taylor Highway vergeblich gewartet haben, hier ihren Winter. Jetzt am Beginn des Sommers erwartet uns ein Ort der eher auf Touristen wartet. Nur eine Hand voll Gebäude findet man hier am Ufer des klaren, blauen Sees. Entlang des Ufers sind die Überreste der ausgebrannten SS Tutshi zu sehen, eine alte Lokomotive und eine Postkutsche der White Pass & Yukon Railroad. Das ehemalige Bahnhofsgebäude erscheint viel zu groß bemessen als Visitor Information für den kleinen Ort und der gegenüberliegende Laden platzt vor Souvenirs fast aus allen Nähten. Wir wundern uns darüber und schlendern durch die verschiedenen Verkaufsräume, als wir in der typisch kanadischen Freundlichkeit angesprochen werden. Auch das Thema ist bekannt: Wie geht's, wo kommt Ihr her, wo geht es hin ?

Nach Skagway ist unsere Antwort auf die letzte Frage, worauf er antwortet, daß uns dort heute 5.700 Touristen erwarten. Überrascht schauen wir ihn an und er erklärt uns, daß in Skagway heute 3 Kreuzfahrtschiffe mit 5.700 Gästen erwartet werden und daß erfahrungsgemäß etwa ein Drittel davon im Laufe des Tages mit ihren Bustouren in Carcross einen Stop einlegen und auch ein kanadisches Souvenir erwerben wollen. Der Horror steht wohl in unseren Augen, als wir so schlagartig aus der Wildnis gerissen und den Touristen zum Fraß vorgeworfen werden sollen.

Zumindest erklären die Touristenmassen die Größe der Tourist Information, des General Store und eines weiteren Souvenirladens, in dem man von vielen Frauen in Mounty-Uniformen genervt wird. Ein kurzer Blick auf das hölzerne Hotel aus dem Jahre 1900, ein vergeblicher Versuch zu erfahren, wo der Pionierfriedhof von Carcross ist, auf dem Größen des Goldrausches wie Skookum Jim, Tagish Charlie und Bischof Bompass begraben sein sollen (die Visitor Information erklärte den Friedhof als für Besucher geschlossen und verweigerte weitere Informationen) und wir verlassen Carcross.

Entlang des Windy Arm Sees zieht sich der Highway nach Süden. Wir tauchen wieder in verschneite Regionen ein, die Straßen sind frei, die Seen teilweise vereist und die Sonne verwandelt das brüchige Eis in Kristalle. Die Venus Mine ist einer unserer letzten kurzen Stops auf kanadischer Seite, eine noch bis in die achtziger Jahre aktive Silbermine, deren Holzverschlag sich über den Berghang zieht. Zu sehen gibt es hier eigentlich nichts mehr und wir gewinnen langsam weiter an Höhe, kleine Seen begleiten uns, bewaldete Inseln schwimmen darin und Schnee unterstreicht mehr und mehr das Panorama.

Schließlich erreichen wir den White Pass, der obwohl nur 1.003 m hoch am 30. Mai seinem Namen noch alle Ehre macht. Hier befindet sich auch die Grenzstation zwischen Kanada und Alaska. Beim amerikanischen Zöllner halten wir an und werden gefragt, ob es unsere erste Reise in die USA ist. Wir erzählen ihm von unsere Route, er guckt in unsere Reisepäße und ersetzt den Einreisestempel, den wir nicht mehr benötigen durch einen Souvenirstempel von Skagway. Eine flexible Dienstleistungsgesellschaft eben. Aufmerksam geworden auf einen riesigen Sack Hundefutter in seinem engen Häuschen, fragen wir, ob er sich hier in der Einöde einen Hund halte. Er bestätigt uns die Einsamkeit, mit dem Hundefutter lockt er allerdings Raben an, wenn kein Reisender bei ihm anhält, mit dem er sich unterhalten kann.

Wir verabschieden uns freundlich und fahren auf amerikanischem Boden wieder bergab. Mit uns eine größere Gruppe von Fahrradfahrern, die einer Bike Tour aus Skagway angehören. Ein echter Sportler dürfte über diese Touren aber eher müde lächeln, denn der Aufstieg auf den White Pass erfolgt mit dem Bus, lediglich die Abfahrt ist auf dem Drahtesel zu bewältigen.

Während wir weiter bergab fahren sehen wir, wie sich an der gegenüberliegenden Felswand der White Pass Train entlangquält. Der Zug scheint nicht enden zu wollen und dampft nur langsam vor sich hin. Wir warten auf einem Standstreifen ab, bis der Zug aus unserer Sichtweite verschwunden ist und fahren mit äußerst knappem Tank weiter.

In der Stadt angekommen zieht es uns direkt zum Fährterminal, das in einem natürlichen Hafenbecken liegt. Zwischen bewaldeten und verschneiten Bergflanken liegen zwei imposante, weiße Kreuzfahrtschiffe sowie die wesentlich kleinere, blauweiße Fähre des Alaska Marine Highway System. Am Fährhafen stellen wir unseren Wagen ab und tauschen im Terminal unsere Vouchers gegen die Fahrkarten für den Alaska Marine Highway um, fragen nach, wann wir borden müssen und machen uns auf die Stadt zu erkunden. Direkt gegenüber des Hafenbeckens ist der Bahnhof der White Pass & Yukon Railroad. Hier ist die Bahnstrecke aus touristischen Gründen noch in Betrieb.
White Pass Train Skagway, Alaska 2000


Zwei Dieselloks hängen vor jedem der mit Touristen voll besetzten Züge und kämpfen verzweifelt damit, die Waggons zum White Pass hochzuziehen. Auch eine Winterausgabe des Zuges steht auf einem Abstellgleis. Was auf den ersten Blick vielleicht nach einem futuristischen Turbinenantrieb aussieht, ist in Wahrheit eine Schneefräse, die die Schienen vor dem Zug freischaufeln soll. Bei dem guten Wetter, das wir in Skagway haben, dient sie heute eher als Ausstellungsstück und Fotoobjekt.

Im Bahnhofsgebäude finden wir neben dem Kartenverkauf einen Souvenirshop und die Tourist Information, wo wir uns ein paar Informationen über Unterkünfte und Things to see and do zusammensuchen. Das Miner's Cache ist mit gut USD 60 eine der günstigsten Alternativen und zudem ziemlich im Zentrum gelegen, so daß wir es dort versuchen wollen.

Zwischen Massen von Touristen, Reihen von Souvenirshops und Ketten von gelben Bustaxis mit altertümlich gekleideten Fahrern folgen wir der Broadway genannten Hauptstraße zum Miner's Cache. Im Erdgeschoß des mintgrünen Gebäudes ist - wie soll es in Skagway anders sein - ein Souvenirladen, in dem wir nach einer Übernachtungsmöglichkeit fragen. Eine alte Dame geleitet uns daraufhin die Treppe hinauf. Im Treppenhaus hängt ein Geruch, den wir irgendwie mit Pferden assoziieren, die Bohlen knarzen und altes, dunkles Holz verkleidet die Wände. Wie die meisten Gebäude in Skagway war auch das Miner's Cache früher ein Bordell und kichernd versichert uns die Dame, daß jedes Zimmer seine eigene Geschichte hat. Einen Moment überlege ich, ob auch sie zur Geschichte dieses Hauses gehört, verwerfe dann aber den Gedanken. Die Zimmer, die sie uns zeigt sind klein, haben aber einen gewissen Charme. Zwei Betten passen gerade so hinein, Wärme schlägt uns entgegen von der Sonne, die den ganzen Tag auf den Jalousien stand, die Bettwäsche ist sauber, aber auch schon in die Jahre gekommen. Wie fast zu erwarten, sind wir die einzigen Gäste und können uns ein Zimmer aussuchen. All die Touristen, die die Straßen in Horden durchströmen, sind nicht wie wir auf der Suche nach einem Zimmer, sondern wollen nur Souvenirs und zum Abendessen an Bord ihrer Luxusschiffe zurückkehren.

Wir nehmen eines der Zimmer, laufen über den Broadway wieder zu unserem Auto und kehren mit Wagen und Gepäck zurück. Auch wenn die Touristenmassen nach Tagen der Einsamkeit wie ein Kulturschock auf uns wirken, zieht es uns doch wieder raus in die warme Sonne. Kurzerhand kombinieren wir zwei Walks aus einem unserer Reiseführer bzw. aus einem Faltblatt der Tourist Info und streunen durch die Straßen. Näheres zu den historischen Gebäuden findet ihr auf der nächsten Seite.

Nach einem langen Walk durch die Stadt kehren wir wieder zu unserem Hotel zurück, ruhen uns etwas aus, wechseln wegen der einbrechenden Abendkühle T-Shirts gegen langärmelige Hemden und kehren wieder auf die Straße zurück. Es ist Zeit zum Abendessen und das macht sich auch in Skagway bemerkbar. Der größte Teil der Kreuzfahrer ist schon wieder auf den Schiffen, der Rest von ihnen hat den Geruch des Buffets in der Nase und schlängelt sich wie ein Lindwurm zum Hafenbecken. Erfreut sehen wir unsere Zeit gekommen, die Stadt in Ruhe kennenzulernen, doch es stellt sich schnell heraus, daß es dazu nicht viel Gelegenheit gibt. Eine Tür nach der anderen fällt vor uns ins Schloß. Die Öffnungszeiten der Geschäfte erweisen sich als sehr flexibel. Geöffnet wird, sobald das erste Cruise Ship einläuft, geschlossen wird, wenn alle Besucher die Stadt verlassen und zum Abendessen an Bord zurückkehren.

Alle ? Alle nicht ! Wir beide sind noch übrig geblieben, doch damit scheint niemand gerechnet zu haben. Schlagartig wird uns bewußt, daß nicht nur die Geschäfte schließen, sondern auch die Kneipen und Restaurants die Türen verrammeln. Nur wenige Möglichkeiten bleiben uns und wir nehmen ohne große Auswahl zu haben den Red Onion Saloon. Auch dieses Gebäude hat seine Geschichte, die ebenfalls auf der nächsten Seite folgt.

Uns bietet der Red Onion Saloon ein simples all you can eat-Buffet, daß seinen kleinen Preis aber wert ist und ein paar Bier dazu. Die Kneipe ist voll, aber schnell zeigt sich, daß außer uns fast nur Einheimische im Pub sind, ein paar der Gesichter kennen wir bereits von unserem nachmittäglichen Stadtrundgang.

Im Dunkeln folgen wir erneut dem Broadway zum Miner's Cache. Binnen weniger Stunden ist aus einem riesigen Touristenrummel eine Geisterstadt geworden. Und wir legen uns in ein Bett mit Geschichte.

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